Bauchschreiber oder Outliner? Von Entdeckern und Entwicklern

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Autoren scheinen in zwei Lager geteilt zu sein: Die Bauchschreiber oder discovery writer, die die Handlung und die Figuren ihrer Geschichte erst beim Schreiben entdecken, und die Plotter oder Outliner, die Handlung, Charaktere und Struktur planen, bevor sie das erste Wort an der eigentlichen Geschichte schreiben. Die eine richtige Art, an das Schreiben einer Geschichte heranzugehen, gibt es nicht. Die am besten geeignete Vorgehensweise muss jeder Autor für sich selbst herausfinden. Und so gibt es in der Realität alle möglichen Mischformen, die Übergänge zwischen den scheinbaren Gegensätzen sind durchaus fließend.

Unterschiedliche Wege zum selben Ziel

Das Ziel ist bei beiden Vorgehensweisen gleich: Eine gute Geschichte mit einer funktionierenden Struktur. Im Grunde unterscheiden sich die Ansätze zum Erreichen des Ziels nicht sonderlich. Die einen planen nur anhand von Stichworten oder Kurzangaben voraus. Sie können schon in dieser Planungsphase erkennen, ob die Struktur wie geplant funktioniert, ob die Handlung zu den Figuren, die sie zuvor charakterisiert haben, passt, ob große Lücken im Plot bestehen, die gefüllt werden müssen. Dann wird diese Outline (Leitfaden, Skizze) entsprechend geändert. Die anderen planen im Grunde auch, nur tun sie das anhand von ganzen Fassungen – und brauchen so oft mehr davon, bis die Geschichte veröffentlichungsreif ist. Wer drauflosschreibt und erst im Schreibprozess seine Geschichte entdecken möchte, hat später einfach mehr umzuarbeiten, zu streichen, wenn er falsche Abzweigungen genommen hat, und zu straffen, wenn er Umwege eingebaut hat. Denn wer das Ende seiner Geschichte noch nicht kennt, kann nicht zielstrebig daraufhin schreiben. Zu einer funktionierenden und guten Geschichte können letztlich beide Ansätze führen. Nach meiner Erfahrung beschleunigt das Vorausplanen den Gesamtprozess aber deutlich.

Eine Outline kann sehr unterschiedlich aussehen: von ganz grob bis sehr detailliert. Dabei ist eine Outline kein starres Konzept. Selbst eine relativ detaillierte Outline lässt immer noch genügend Spielraum für Entdeckungen während des Schreibens. Trotz aller Planungen kann es passieren, dass die Figuren den Autor überraschen und sich schlicht anders verhalten als geplant – ein Zeichen für sehr lebendige Charaktere. Und natürlich passiert es auch beim Schreiben, dass zusätzliche Ideen kommen oder bessere Ideen, wie man eine bestimmte Situation schildern oder auflösen kann. Selbstverständlich muss man sich dann nicht strikt an die Outline halten. Stattdessen kann sie jederzeit angepasst werden. Sie ist nur ein Hilfsmittel.

Berühmte Entdecker und Entwickler

Stephen King sagt von sich in seinem Buch Das Leben und das Schreiben (Originaltitel: On Writing), er habe meist nur einen Ideenfunken, wenn er mit dem Schreiben eines neuen Romans beginne. In der Regel sei das eine Situation, in der eine Figur stecke. Indem er sich immer wieder die Frage „Was wäre wenn?“ stelle, entdecke er selbst dann die Geschichte beim Schreiben.

Ein zweites berühmtes Beispiel ist Wolfgang Hohlbein, mit über 200 veröffentlichten Büchern der vermutlich produktivste deutsche Schriftsteller. Im Rahmen einer Lesung in Bonn im vergangenen Jahr sagte er: „Wenn ich schon weiß, wie die Geschichte ausgeht, warum soll ich sie dann noch schreiben?“ Für ihn ist das Schreiben der Geschichte ein Abenteuer, eine Entdeckungsreise.

Beide Beispiele sind seit vielen Jahren professionelle Autoren mit immens vielen veröffentlichten Büchern. Ich bin mir sicher, dass man mit der Zeit ein Gespür für Struktur entwickelt, sodass schon intuitiv der passende Aufbau gelingt. Erfahrung kann eine Outline in Teilen ersetzen. Und vermutlich haben beide auch eine genaue Vorstellung ihrer Figuren und planen zumindest die nächsten paar Szenen voraus. Vielleicht nicht auf dem Papier, aber im Kopf.

Ein berühmtes Beispiel für einen Outliner ist J. K. Rowling, die Autorin von Harry Potter. Teile ihrer Outline sind hier online – sehr interessant!

Der Schreibprozess entwickelt sich mit der Zeit

Meine eigene Vorgehensweise hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Als ich 2003 nach einer langen Pause wieder mit dem Schreiben begann, habe ich mich einfach hingesetzt und drauflosgeschrieben. Ich hatte eine vage Idee im Kopf, worum es in der jeweiligen Geschichte gehen sollte. Die war meist handlungsorientiert. Dann habe ich mir einen Protagonisten ausgedacht, der das erleben könnte, und sofort mit dem Schreiben begonnen. Der genaue Ablauf und teilweise die auftretenden Nebenfiguren ergaben sich erst beim Schreiben. Da es sich ausschließlich um Kurzgeschichten mit überschaubarem „Personal“ und meist nur einem Handlungsstrang handelte, war das aber auch keine große Kunst. Und ganz ehrlich: Wie bei jedem Anfänger waren diese ersten Gehversuche nicht berauschend.

Mit der Zeit änderte sich die Vorgehensweise. Ich hatte so viele Ideen für Geschichten und so wenig Zeit zum Schreiben, dass ich mir die Ideen notieren musste, um sie nicht zu vergessen. Bis dahin hatte ich aber schon zig Ideen verloren. Ich kann also jedem nur raten, sich Ideen aufzuschreiben. Ich habe auf meinem Rechner einen Ordner namens Ideensammlung und lege darin für jede potenzielle Geschichte ein eigenes Worddokument mit Notizen an.

Auch die Notizen zu den Ideen wandelten sich. Waren das anfangs nur ein, zwei Sätze, so wuchs ein Dokument später auf eine Din-A-4-Seite pro Idee. Das mache ich für geplante Kurzgeschichten heute noch so. In Stichworten oder kurzen Sätzen halte ich chronologisch fest, was passieren soll. Dabei wird schon deutlich, ob die Idee eine Geschichte trägt. Wenn ich mich dann irgendwann später zum Schreiben einer Geschichte entschließe, habe ich ein wunderbares Gerüst, an dem ich mich entlanghangeln kann. Ich muss es nur noch mit Fleisch füllen.

Dieses Vorgehen hat sich bewährt. Der eigentliche Schreibprozess ist viel schneller, weil ich immer schon weiß, wie es in etwa weitergehen soll. Seit meinen Schreibanfängen habe ich mich ausgiebig mit Charakterisierung, Heldenreise, Plotstruktur und allem anderen, was ein Autor für sein Handwerk benötigt, beschäftigt. Dieses Wissen fließt schon in der Planungsphase mit ein. Daher sind auch die daraus entstehenden Geschichten schon im Rohentwurf stringenter. Die Überarbeitung beschränkt sich meist auf das Straffen, auf das Streichen von Füllwörtern, auf das Anpassen des Tempos, wenn es irgendwo nicht zum Fortschritt in der Geschichte passt, auf sprachlich-stilistische Feinheiten. Aber ich muss nicht mehr am großen Ganzen herumdoktern, also an der eigentlichen Handlung, an den Figuren oder an der Struktur. Das habe ich bereits im Vorfeld getan.

Für meinen ersten Roman plane ich recht genau und detailliert. Ein Roman ist wesentlich aufwendiger, sehr viel komplexer. Es gibt mehr Figuren, mehr Handlungsstränge und am Ende muss alles zusammenpassen. Von rund 100.000 Wörter später 60.000 wieder streichen zu müssen, weil ich in eine Sackgasse geraten bin, möchte ich vermeiden. Daher entwerfe ich genaue Charakterisierungen meiner (Haupt-)Figuren, lege den Handlungsverlauf fest und entwickele einen Szenenplan. Ich muss allerdings sagen, dass ich für diese Planungsphase (und die Recherche) schon wesentlich mehr Zeit aufgewendet habe, als ursprünglich beabsichtigt. Es gibt also anscheinend auch so etwas wie Planeritis – ein Zu-viel-Planen. Da muss ich für Romane noch den richtigen Mittelweg finden. Aber ich bin zuversichtlich, dass ich spätestens beim dritten Roman die für mich passende Vorgehensweise gefunden habe.

Bist du Entdecker oder Entwickler? Oder etwas dazwischen? Was hilft dir an Vorausplanung, was entdeckst du lieber erst während des Schreibens? Ich freue mich über Kommentare!


Bildnachweis: galdzer / depositphotos.com

3 Kommentare

  1. Klasse Artikel. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne Outline ein Schreibprojekt zu beginnen. Selbst mit Outline ist es jedes Mal eine Herausforderung, dass ganze „Chaos“ zu managen. Stephen King ist ein toller Autor (höre gerade „Todesmarsch“ als Hörbuch) mit einem beneidenswerten Output, allerdings merkt man manchen seiner Büchern an, dass er mit dem letzten Drittel bzw. dem Ende Probleme hat. Ich vermute, das ich ein typisches Discovery-Writer-Problem.

    Axel :-)

    1. Hallo Axel!

      Nachdem ich die Outline für mich entdeckt hatte, bin ich auch ein Fan davon geworden! Ein Romanprojekt könnte ich mir ohne auch absolut nicht vorstellen. Erst mit Outline habe ich das Gefühl, überhaupt solch ein Projekt stemmen zu können. Eine Kurzgeschichte würde unter gewissen Umständen (geringe Figurenzahl, stark begrenzter Handlungsrahmen und Umfang) noch ohne klappen. Aber eine Outline macht auch da schon vieles einfacher.

      Ich mag Stephen King auch sehr. Er erschafft immer tolle Figuren und vor allem auch geniale Figurenkonstellationen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass er immer mehr zum Schwafeln neigt. Manches könnte man durchaus straffen – und der Text würde gewinnen. So habe ich kürzlich The Girl who Loved Tom Gordon gelesen. Für eine Kurzgeschichte wäre das passend gewesen. Aber auf Romanumfang aufgebläht hatte das definitiv seine Längen. Trotzdem: Er ist und bleibt eine Ikone.

      Danke für deinen Kommentar! :)

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