Hätte, hätte, Fahrradkette. Mit diesem inzwischen geflügelten Wort haben sicherlich viele von uns schon mal jemandem deutlich gemacht, wie sinnlos es ist, einer verpassten Gelegenheit nachzutrauern, wenn sich die Situation sowieso nicht mehr ändern lässt. Oder wie wenig zielführend reines Wunschdenken ist, wenn die Realität ganz anders aussieht. Ein klassischer Fall für den Gebrauch des Konjunktivs. Daneben gibt es noch einige weitere typische Anwendungsgebiete. Als freie Lektorin stelle ich immer wieder fest, dass es vielen AutorInnen schwerfällt, diesen immer die jeweils richtige Konjunktivform zuzuordnen. Das ist auch kein Wunder: Sprache wandelt sich stetig und so nutzen wir heute auch den Konjunktiv anders als früher. In einigen Fällen sind sowohl Konjunktiv I als auch Konjunktiv II formal richtig (sprich: weit verbreitet und von der Duden-Redaktion anerkannt), zudem könnte man denselben Satz in manchen Fällen auch mit würde + Infinitiv bilden und damit dasselbe aussagen. Das heißt aber nicht, dass überall alle Formen erlaubt sind. Und dort, wo mehrere Formen möglich sind, stellt sich immer noch die Frage nach dem (guten) Stil. Es ist also nicht unbedingt ratsam, sich einzig auf das eigene Bauchgefühl zu verlassen und zu hoffen, damit richtig zu liegen. Und wie bildet man den Konjunktiv nun korrekt? Das ist beileibe kein Hexenwerk. Los geht’s.
Die Formen des Konjunktivs
Um ein bisschen Theorie als Grundlage kommen wir nicht herum, bevor es an den praktischeren Teil geht. Mit den Beispielsätzen, die aus Romanen ganz unterschiedlicher Genres stammen könnten, flutscht die Trockenkost jedoch hoffentlich wie geschmiert.
Es gibt zwei Grundformen des Konjunktivs: den Konjunktiv I, der sich am Infinitiv – also der Grundform – des Verbs orientiert (ich sei, du habest, er denke), und den Konjunktiv II, der zum Stamm des Präteritums gebildet wird (ich wäre, du hättest, sie dächte). Ein Gefüge aus würde + Infinitiv kann in manchen Fällen diese Konjunktivformen ersetzen.
Wann der Konjunktiv I und wann der Konjunktiv II anzuwenden ist, richtet sich vor allem nach dem Kontext, etwa danach, wie real oder irreal, wie möglich oder unmöglich das Gesagte ist. Es handelt sich dabei also nicht um Tempi, also um Zeitformen im eigentlichen Sinne, sondern um einen Modus, eine „Aussageweise“. Trotzdem existieren natürlich auch zu den Konjunktivformen Tempi, die durch mehrteilige Fügungen gebildet werden. Hier die wichtigsten und wie sie sich zusammensetzen:
Konjunktiv Perfekt: Konjunktiv I von haben oder sein + Partizip II
Im Polizeibericht steht, sie habe den Stein geworfen, daraufhin sei er gestürzt.
Konjunktiv Plusquamperfekt: Konjunktiv II von haben oder sein + Partizip II
Hätte sie nur dieses eine Mal ihr loses Mundwerk gehalten, wäre er nicht Hals über Kopf davongelaufen.
Konjunktiv Futur I: Konjunktiv I von werden + Infinitiv
Sie hofft, sie werde die Prüfung mit Bravour meistern.
Würde-Form: Die schon angesprochene Konstruktion aus Konjunktiv II von werden + Infinitiv
Sie würde schon alles wieder in Ordnung bringen.
Damit hast du ein Schema, nach dem du die wichtigsten Zeitformen aus Konjunktiv I und II bilden kannst. Konzentrieren wir uns nun auf die beiden Grundformen und wie man sie korrekt anwendet.
Der Konjunktiv I in der Praxis
Früher nutzte man den Konjunktiv I deutlich häufiger als heute. Zwar übernimmt er – theoretisch – nach wie vor drei Aufgaben, doch in zwei dieser drei Bereiche wurde er fast vollständig verdrängt.
- Kennzeichnung der indirekten Rede
Dies ist der Hauptjob des Konjunktivs I. Vor allem in der Presse, aber auch in der Literatur wird der Konjunktiv I nach wie vor genutzt, um zu zeigen, dass jemand nicht wörtlich zitiert, sondern (indirekt) wiedergibt, was ein anderer gesagt hat.
Der Entführer sagte, er lasse Melissa morgen frei. Ich fragte, ob es ihr gutgehe, ob sie gesund sei. Er behauptete, sie habe kein Fieber mehr und könne ihren Arm wieder bewegen. - Kennzeichnung von irrealen Vergleichssätzen
In dieser Funktion ist der Konjunktiv II gebräuchlicher, dennoch nutzen manche hin und wieder auch den Konjunktiv I.
Katja tat so, als sei (häufiger: wäre) sie erstaunt, ihn zu sehen. Vera benahm sich, als mache es ihr nicht das Geringste aus, dass er die aufgetakelte Blondine an seiner Seite umarmte und ihr einen Kuss auf die Wange drückte. - Ausdruck von Wünschen, Bitten, Aufforderungen oder Annahmen
Ein paar feststehende Redewendungen haben sich bis heute im Konjunktiv I gehalten: Gott sei Dank. Sie lebe hoch! Komme, was wolle. Man folge mir unauffällig. Man nehme zwei Eier.
Ansonsten ist der Konjunktiv I in dieser Funktion kaum noch zu finden. Und falls doch, dann klingt er in unseren Ohren sehr gestelzt. Wir müssten lachen, würde jemand zu uns sagen: „Er/Sie reiße sich zusammen!“ statt „Reiß dich zusammen!“
Der Konjunktiv II in der Praxis
Dem Konjunktiv II begegnen wir häufiger als dem Konjunktiv I. Das liegt zum einen daran, dass wir uns öfter etwas wünschen oder vorstellen, was im Moment nicht möglich ist, als wir die indirekte Rede nutzen. Zum anderen wildert der Konjunktiv II in den Gefilden des Konjunktivs I. (Siehe „Die Kennzeichnung von irrealen Vergleichssätzen“.) Sogar bis in die Hauptdisziplin des Konjunktivs I, die indirekte Rede, dringt er vor. Wir nutzen ihn bei:
- Irrealität/Potenzialität
Dies ist der häufigste Anwendungsbereich des Konjunktivs II. Der Sprecher beziehungsweise Erzähler trifft in diesem Fall eine Aussage über etwas, das er sich nur vorstellt oder für möglich hält.
Wenn sie ihm nur das Messer entwinden könnte, hätte sie locker die Oberhand gegen diesen Schwächling.
(Die Bedingung ist noch nicht gegeben, könnte aber durchaus eintreten.)
Wäre sie gekommen, hätte ich ihr einen Kuchen gebacken.
Hätte er mir schon wieder etwas Pinkfarbenes zum Geburtstag geschenkt, hätte ich mich scheiden lassen.
Alina hätte alles für Stefan getan, absolut alles.
(Die Bedingung ist nicht gegeben und entweder kann sie auch nicht mehr eintreten oder die Erzählerin/Protagonistin sagt nicht, ob die Möglichkeit noch besteht oder einmal bestanden hat.)
Sie benahm sich, als wäre sie vierzehn.
Unfassbar, tat der doch einfach so, als wäre er ganz bei der Sache, dabei spielte er die ganze Zeit über unter dem Tisch mit seinem Smartphone!
(Da ist wieder unser irrealer Vergleichssatz, in dem der Konjunktiv II wildert.) - Höflichkeitsformen
Oft setzen wir Bitten, die wir in Form einer Frage vorbringen, in den Konjunktiv II, weil das höflicher wirkt als eine direkte Aufforderung. Dasselbe gilt für manche Aussagesätze:
Ich hätte gern ein Pfund Kirschen.
Wären Sie so nett, diesen Platz für mich freizuhalten?
Würden Sie bitte die Laufschuhe mit Spikes ausziehen, bevor Sie unser neues Parkett betreten? - Indirekte Rede
Mit dem Konjunktiv II kennzeichnet man die indirekte Rede, wenn der Konjunktiv I als solcher nicht eindeutig zu erkennen und daher missverständlich ist.
Mara und Ilai behaupteten, sie hätten (statt: haben) Jona nicht mehr gesehen.
Sie sagten, sie kämen (statt: kommen) aus Luzern.
Hin und wieder nutzen manche den Konjunktiv II zur Kennzeichnung indirekter Rede, obwohl der Konjunktiv I eindeutig wäre:
Anna sagte, sie hätte (statt: habe) nun endlich ihren Abschluss in der Tasche.
Die würde-Form in der Praxis
Vor allem in der gesprochenen Umgangssprache nimmt die würde-Form immer mehr Raum ein – und infiltriert von dort aus auch die Standardsprache. Doch zum einen kann sie die üblichen Konjunktivformen nicht in allen Anwendungsbereichen ersetzen, zum anderen gelten nach wie vor der Konjunktiv I beziehungsweise II in vielen Fällen als der bessere Stil. In einigen Fällen ist die würde-Form aber auch in der geschriebenen Standardsprache inzwischen akzeptiert. Das gilt vor allem, wenn:
- Figuren in die Zukunft denken:
Eins war Janna absolut klar: Wenn sie morgen wieder zu spät kommen würde, würde es ein Disziplinarverfahren geben. - der Konjunktiv II nicht eindeutig ist:
Deckt sich der Konjunktiv II mit der Indikativform und ist daher als solcher nicht erkennbar, können wir die würde-Form nutzen, um die Möglich- oder Unmöglichkeit einer Aussage zu verdeutlichen.
Wenn sie ihn verprügeln würden (statt: verprügelten), zöge ich sofort mein Schwert. - eine Konjunktiv-II-Form verstaubt wirken würde (statt: wirkte):
Erik tat so, als ob er der alten Dame helfen würde (statt: hülfe), während er Ringholm observierte. - es sonst zu unschönen Dopplungen käme:
„Hast du schon gehört, Volgard? Riha sagt, dass sie später einmal Drachenzähmerin werden würde (statt: werden werde).“
Praktische Tipps und Faustformeln
Auch wenn ich hier aus Platzgründen nicht mal alle Fälle aufführen konnte, raucht jetzt sicherlich so mancher und manchem der Kopf. Aber keine Panik: Mit den folgenden goldenen Regeln deckt man die wichtigsten und häufigsten Anwendungsfälle ab und liegt (fast) immer richtig. Hier sind sie:
- Indirekte Rede:
Ist der Konjunktiv I eindeutig als solcher zu erkennen? Ja? Dann nutze ihn! Nein? Verwende den Konjunktiv II.
Im Dialog, wenn eine Figur mit einer anderen spricht und dabei die Rede einer dritten Figur indirekt wiedergibt, kann auch die würde-Konstruktion sinnvoll sein. Das hängt vor allem von der sprechenden Figur ab, von ihrem Bildungsgrad, wie sie sich ansonsten ausdrückt et cetera, aber natürlich auch vom Stil des gesamten Romans. - Irreales/Mögliches/Wunschsätze/Höflichkeitsfloskeln
sind in der Regel ein Fall für den Konjunktiv II.
Viel Spaß beim Schreiben!
Der Artikel erschien zuerst in Federwelt Nr. 120 / Oktober 2016.
Hast auch du schon mal mit dem Konjunktiv gekämpft? Oder gibt es andere Grammatikregeln, die dich zur Verzweiflung treiben? Ich freue mich immer über Kommentare! Und wer weiß, vielleicht schreibe ich zu deinem Problem ebenfalls einen Artikel mit praktischen Tipps und Anwendungsbeispielen.
Bildnachweis: peepo / istockphoto.com
Vielen Dank für den Artikel. Im Schreibprozess vergesse ich gerne die Regeln, da ich ein „Bauchschreiber“ bin. Dann ist es gut, wenn ich mir die Fakten noch mal durchlesen und entsprechend danach schreiben kann.
Beste Grüße, Nicole
Hallo Nicole,
freut mich sehr, wenn der Artikel weiterhelfen kann.
Dir weiterhin fröhliches Schreiben und gutes Gelingen!
Beste Grüße
Kerstin