Als aufstrebender Autor kann man sehr gut von erfolgreichen Schriftstellern lernen. Dazu bieten sich mehrere Wege an: das Studieren der Bücher dieser Autoren (welche handwerklichen Kniffe setzen sie ein und wie funktionieren die?), sofern vorhanden das Lesen von Autorenratgebern aus deren Feder (immerhin gibt darin jemand, der seine Kunst erwiesenermaßen versteht, sein Wissen weiter) sowie der Besuch ihrer Lesungen, auf denen häufig auch die Sprache aufs Handwerk und auf die Arbeitsorganisation kommt. Im Rahmen der lit.Cologne, die sich inzwischen zu einem der größten Literaturfestivals Europas gemausert hat, habe ich im März zwei Lesungen besucht. In einer davon las Dirk Kurbjuweit aus seinem neuesten Roman „Angst“ und gab einige Gedanken zu Literatur allgemein, zum Autorendasein sowie zu seinem persönlichen Arbeitsalltag preis.
Ich liebe Literatur und ich liebe Lesungen. Solche Veranstaltungen besuche ich zum einen aus reinem Vergnügen: Ich möchte das vorgestellte Werk kennenlernen, möchte gut unterhalten werden. Zum anderen möchte ich aber auch den Autor hinter dem Werk ein wenig kennenlernen, ich möchte Hintergründe zu dem Werk erfahren, die über das hinausgehen, was auf den Buchseiten steht, und ich möchte vor allem Erfahrungen aus erster Hand zum Autorenalltag und eventuell aus dem Literaturbetrieb bekommen. So verbinde ich Vergnügen mit Lernen: Ich sehe mir an, wie andere Autoren ihr Werk präsentieren, welche Stellen sie für eine Lesung auswählen, wie sie vorlesen, welcher Hilfsmittel sie sich eventuell bedienen. Bisher konnte ich noch aus jeder Lesung einige Erkenntnisse mitnehmen.
Das Werk: Dirk Kurbjuweits „Angst“
In der Kulturkirche Köln stellte Dirk Kurbjuweit, mehrfach preisgekrönter Redakteur des Spiegel, seinen neuesten Roman „Angst“ vor, der bei rororo erschienen ist. Der Roman befasst sich mit der Frage, was eine unbescholtene, gut situierte Familie dazu bringen kann, zu Selbstjustiz zu greifen und einen Menschen zu töten. Eine spannende, beklemmende Geschichte, die den Leser noch lange beschäftigt. Wie würde man selbst sich in einer solchen Situation verhalten, in der der Protagonist der Geschichte sich befindet?
Lektionen für Autoren aus dieser Lesung
- In einer Zeit, in der Unterhaltung – oder Entertainment – oft mit lärmendem Schenkelklopfer-Auftreten gleichgesetzt wird, können eine zurückhaltende Art und Bescheidenheit immer noch Leute begeistern. Der Autor wirkte sehr sympathisch.
- Ein Autor, der sein Thema gut kennt und seinen Stoff im Griff hat, kommt immer kompetent rüber.
- In Zeiten, in denen 50 Shades of Grey oder Splatter-Thriller, in denen ein Serienmörder spätestens alle vier Seiten das Blut spritzen lässt, die Bestsellerlisten anführen, ist immer noch Platz für Romane, die das Ungewöhnliche schildern und dabei den Fokus auf die Figuren legen.
- Eine unaufgeregte Erzählstimme (damit ist der Erzähler im Roman gemeint, nicht der Autor beim Vorlesen) bringt das Grauen, die Bedrohung manchmal unmittelbarer und verstörender rüber als ein effektheischender Stil.
- Eine sehr reduzierte, dichte Sprache zeigt: Da versteht jemand sein Handwerk, er kann mit Sprache umgehen und sie gezielt einsetzen, jedes Wort sitzt, keines ist zu viel. Das ist beeindruckend.
- Dirk Kurbjuweit ist Autor und vielbeschäftigter Journalist. Seiner Meinung nach schließen sich beide Tätigkeiten nicht gegenseitig aus. Aber es gebe deutliche Unterschiede: Da Zeitungs- oder Magazinartikel häufig unter Zeitdruck gelesen werden und die Leser zusätzlich den Ablenkungen des Alltags – etwa durch SMS und Telefon – ausgesetzt sind, müsse ein Journalist Techniken und Kniffe anwenden, um den Leser dazu zu bringen, auch noch die letzte Zeile des Artikels zu lesen. Für einen Roman nehme sich ein Leser in der Regel mehr Muße, meist zu Zeiten außerhalb des Alltagsstresses, etwa am Abend. So habe ein Roman die Chance, einen Sog zu entwickeln, er könne langsamer, aber tiefgehender sein und müsse Höhepunkte nicht Schlag auf Schlag liefern.
- Und Dirk Kurbjuweit hatte auch noch einen Tipp für all jene parat, die meinen, sie hätten nicht genügend Zeit zum Schreiben: Er selbst ist beruflich sehr viel unterwegs und nutzt jede Leerlaufzeit zum Schreiben, so zum Beispiel unterwegs in Flugzeug oder Bahn oder wenn die Staats- und Regierungschefs tagen und die Journalisten draußen warten, bis sich die verschlossenen Türen wieder öffnen. Die Botschaft: Man kann immer und überall arbeiten.
In dem Sinne: Fröhliches Schreiben!
Besuchst du auch gern Lesungen? Ziehst du auch Erkenntnisse aus ihnen? Welche waren die eindrücklichsten? Ich freue mich über Kommentare!
Bildnachweise:
Foto 1: Lesung von Dirk Kurbjuweit in der Kulturkirche Köln © Kerstin Brömer
Foto 2: Ich bekomme mein Exemplar von “Angst” signiert. © Arne Richter
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